Geschichte des Rhein-Herne-Kanals

Ohne ihn ist alles nichts.
Die Schlagader mitten im Ruhrgebiet wird 100 Jahre alt.

Eine offizielle Eröffnungsfeier wurde ihm leider nicht zu Teil, denn der Erste Weltkrieg sollte über Europa herfallen. So blieb es am 13.4.1914 nur bei einer Probefahrt  der Regierungskommission, die nach der Begutachtung die Wasserstraße für den Verkehr freigeben konnte. Die Bürger allerdings ließen die Freigabe der Wasserstraße zu einem wahren Volksfest wachsen, indem sie zu Tausenden die Uferwege säumten, um dem Treiben beizuwohnen. Aufgrund der Mobilmachung wurden so zunächst Tonnen von Kriegsmaterial über den Rhein-Herne-Kanal transportiert. Den Ersten Weltkrieg überstand das Bauwerk zwar gut, allerdings nicht die Besatzung durch die Franzosen. Am Morgen des 7.4.1923 sprengte eine Sabotagegruppe den Stichkanal nach Herne. Innerhalb weniger Stunden lief er trocken und zahlreiche Kähne und Schlepper lagen mit dem Kiel auf dem wasserlosen Grund des Kanals. Erst nach drei Monaten war die Wasserstraße wieder befahrbar. Und in diesem Jahr  können wir endlich die Eröffnungsfeier nachholen, indem wir den 100. Geburtstag angemessen feiern.

Aber der Reihe nach! Die Idee, die Emscherniederungen über einen Kanal mit dem Rhein zu verbinden, hat eine lange Tradition. Als Initiator dieses Projekts gilt Clemens August Kurfürst zu Münster aus dem Jahr 1724. Doch erst der industrielle Friedrich Harkort griff das alte Vorhaben wieder auf, um anfallende Massengüter und Kohle kostengünstig transportieren zu können. Nach umfangreichen Vorbereitungen konnten am 10.5.1909 die Bauarbeiten beginnen. Die Hundertschaften von  Arbeitern kamen aus nah und fern und wohnten im eigens dazu eingerichteten „Kanalarbeiterquartier“ im Herner Norden. Schon in der Planung wurde dem Problem Bergsenkung Rechnung getragen, indem der Bergbau innerhalb einer Schutzzone nur mit Bergversatz arbeiten durfte. Durch schnelles Verfüllen der Hohlräume konnten die Bergsenkungen minimiert werden.
Nach nur fünf Jahren Bauzeit mit etlichen Hindernissen war die Verbindung zum Rhein endlich hergestellt. In vielen Bereichen dem alten Emscherlauf folgend und sogar die Emscher überquerend, war hier ein einzigartiges Bauwerk entstanden. Mit 37 km Länge und sieben Schleusen überwindet er einen Höhenunterschied von 36 Metern. Auf Herner Gebiet liegen die Schleusen 7 und 6 und die Schleuse 5 ist Wanne-Eickel unsere heimische Regattastrecke.
Heute passieren rund 80 Schiffe täglich aus aller Herren Länder  Herner Gebiet. Die Fracht besteht aus Kohle, Steinen, Mineralöl, Erzen, Schrott, Baustoffen, chemischen Gütern und Nahrungsmitteln.
In der Blütezeit der deutschen Steinkohle gab es mehr als 30 öffentliche und werkseigene Häfen. Auch die Herner Zechen „Unser Fritz“ und „Friedrich der Große“ hatten je einen. Mit den Zechenstilllegungen ging zunächst die Bedeutung des Rhein-Herne-Kanals zurück. Das Verkehrsaufkommen verringerte sich um rund 25 Prozent. Aber die Talsohle ist längst durchschritten. Der Strukturwandel im Ruhrgebiet hat künftig einen großen Bedarf an kostengünstigen und umwelt-freundlichen Verkehrsleistungen. Nach Berechnungen des Bundesverkehrsministeriums steigt in den nächsten 15 bis 20 Jahren der Güterverkehr in der Binnenschifffahrt um erstaunliche 80 Prozent – auch als Folge der zunehmenden europäischen Integration und der Öffnung der Grenzen nach Mittel- und Osteuropa.

Neben der wirtschaftlichen Bedeutung sollte man auch den Freizeitwert des Kanals berücksichtigen. Schon während des Baus wurden an beiden Seiten Wege angelegt die zwar als „Leinpfad“ bezeichnet, aber nie zum Treideln benötigt wurden. Sie werden gerne als Wander- oder Radwege genutzt, um die zahlreichen Kulturdenkmäler, Industriebauwerke und Schauplätze der Geschichte zu erkunden.

Nach längerer Bauzeit, in denen Wasserbreite sowie Uferbereiche den wirtschaftlichen Bedürfnissen angepasst wurden, scheint sich der Kanal eigens für dieses Fest neu herausgeputzt zu haben, auch wenn die Baumaßnahmen erst im nächsten Jahr abgeschlossen sein werden. Im Jubiläumsjahr 2014 kann man dabei auch auf die “Kulturschiffe“ zurückgreifen, die mit ausgesuchten Programmen einen vielseitigen Eindruck vom Leben an den Ufern bieten.
Und natürlich kann man auch Sport treiben an diesem Gewässer. Nachdem die Zechen ihre Förderung eingestellt haben, ließen sich die Wassersportvereine kurzerhand an den nicht mehr benötigten Anlegeplätzen, Häfen und Kais nieder. Oft schnurgerade ziehen sich die Ufer mit ihren Leinpfaden  durch die Landschaft, mal mit Steinschüttungen  mal mit Spundwänden befestigt oder sogar mit Beton ausgegossen. Stahl, Beton, Steine und alle 50 m eine kleine gelbe Leiter, die die einzige Möglichkeit bietet, sich im Notfall auf die hohen Spundwände zu retten. Im ehemaligen Liegehafen von „Friedrich der Große“ haben sich zum Beispiel der WSV Herne sowie der Kanu- und Skiclub Herne mit ihren Booten einquartiert. Das Kanufahren, das Surfbrettpaddeln sowie das Drachenbootfahren haben  sich zur Trendsportart entwickelt. Insgesamt neun Vereine betreiben in Herne Wassersport und arbeiten z. T. zusammen.
Auch der RV Emscher ist nun seit gut 80 Jahren ein treuer Nutzer dieser reizvollen Wasserstraße und  stets bemüht vielen Menschen die Faszination „Rudern“ auf dem Rhein-Herne-Kanal nahe zu bringen. Strömungsfrei ist dieses sehr saubere Gewässer ein idealer Ort, um störungsfrei viele Trainingskilometer abzuleisten. Manche sind dabei sehr erfolgreich, wie z.B. die Weltklasse-Ruderer/innen des RV Emscher, deren Boote inmitten der Industrielandschaft fast schwerelos übers Wasser gleiten. Manche finden über Veranstaltungen wie den „Herner Rudertag“ Zugang zu sportlicher Betätigung gepaart mit geselliger Kurzweil. Im diesem Jahr wird diese Veranstaltung ihr 10-jähriges Jubiläum feiern. Bis dahin kann der Ruderverein Emscher mit diesem Trainingszentrum seine Schlagzahl sicherlich noch einmal erhöhen.

Der 100. Geburtstag des Rhein-Herne-Kanals wurde mit einem vielseitigen Programm gefeiert. Höhepunkt des Jubiläums war die Sperrung des Kanals für die motorisierte Schifffahrt am 30. August. An diesem Tag konnten Vereine, Museen und Freizeitanbieter der Anrainerstädte endlich wieder ungestört zahllose Veranstaltungen im und am Wasser feiern, sowie es schon 1914 während der Probefahrt durch den Regierungsdampfer gewesen sein muss.

2014, Gabriela Baranowski